Die Zeit vor dem Start des Berlin Marathons: Ein magischer Moment
Zwischen 6 und 9:15 Uhr, bevor der Berlin Marathon für mich beginnt, liegt eine besondere Atmosphäre in der Luft. Die Straßen Berlins sind noch ruhig, doch die Spannung ist spürbar. Während die ersten Strahlen der Morgensonne den Startbereich beleuchten, sammeln sich Tausende Läuferinnen und Läufer aus aller Welt. Die Stadt erwacht, und auch die Teilnehmer bereiten sich mental und physisch auf einen der größten Marathons der Welt vor.
Die Stunden vor dem Startschuss sind von Routine und Nervosität geprägt. Viele Läufer beginnen frühmorgens mit einem leichten Frühstück, um genug Energie für die Strecke zu haben. Ich konnte auch bereits um 6:15 Uhr in meinem Hotel Frühstück bekommen. Ich fühlte mich bereit für mein Abenteuer, mein Ziel in den Bereich SUB3 zu kommen.
Um 7:00 Uhr ging ich dann mit anderen Läufern vom Hotel los zur S-Bahn, um in den Startbereich zu kommen. Alle waren warm gekleidet oder mit Folien eingewickelt, um dich warm zu halten bei 7-8° Außentemperatur. Ich war bereits im Lauf Outfit ohne Kälteschutz unterwegs. Ein Fehler, denn ich musste ja bis 9:15 Uhr auf meinen Start warten.
Vor Ort angekommen ging ich direkt in meinen Startblock C, der mir im Vorfeld zugewiesen wurde. Dieser füllte sich langsam und stetig. Läufer und Läuferinnen aus gefühlt allen Ländern der Erde kamen zusammen. Ich unterhielt mich mit einigen. Manche sitzen ruhig da, andere dehnen sich, wärmen sich auf oder überprüfen ein letztes Mal ihre Ausrüstung. Jeder hat seinen eigenen Weg, sich auf die 42,195 Kilometer vorzubereiten.
Ich traf noch zufällig meinen Kollegen Martin Winter vom TSV Neuburg, der ebenfalls das große Ziel SUB3 vor Augen hat. Damit gibt die Zeit bei der Kälte doch etwas schneller vorbei als befürchtet. Um 8:30 Uhr begann dann auch das Rahmenprogramm mit Vorstellung der Top-Läufer, den Wheelchair Teilnehmern und den Rollstuhl Teilnehmern. Viele Weltklasse Athleten und Olympiateilnehmer und Sieger waren dabei. Hinter mir in meinen Block bereitete sich auch Lisa Migliorini, auch bekannt als thefashionjogger, auf Ihren Lauf vor. Die Vorbereitung war im Schwerpunkt Videomaterial generieren.
Die Arbeiten der Veranstalter sind in vollem Gange: Die letzten Kontrollen der Strecke, die Absicherung der Zuschauerzonen und der Aufbau der Verpflegungsstationen laufen auf Hochtouren. Die Stadt ist bereit, Hunderttausende Zuschauer und Athleten willkommen zu heißen.
Je näher die Startzeit rückt, desto mehr füllt sich das Areal am Brandenburger Tor. Die Gespräche der Läufer werden leiser, die Konzentration steigt. In den letzten Minuten vor dem Start stehen alle still – ein Moment des Innehaltens, bevor der große Lauf beginnt. Die Vorfreude ist förmlich greifbar, und dann, Punkt 9:15 Uhr, fällt der Startschuss und das Abenteuer beginnt.
Allerdings, aufgrund der großen Anzahl von Läufern, geht es erstmal 1-2 km spazieren. Damit kann man sich auch gut während des Startes warm machen. Die Zeit zählt erst beim übertreten der ersten Zeitmessmatte. Danach kommt man langsam ins Laufen.
An diesen wunderbaren Aufnahmen kann man sehr gut sehen, wie viele Menschen dort im ersten Block alleine starten. Kurze Erleichterung der Laufbedingungen hat man an der Siegessäule, denn hier teilt sich die Menge für einen kurzen Augenblick.
Nachdem ich jetzt einigermaßen warm gelaufen bin, konnte ich meine Geschwindigkeit auf 4:15-4:25min/km einpendeln. Das war auch meine geplante Pace. Allerdings musste ich oft etwas abbremsen, da das Läuferfeld sehr dicht war, und nicht jeder im ersten Block geeignet für Zeiten kleiner 4h.
Berlin Marathon: Ein folgenschwerer Sturz bei Kilometer 9
Der Start verlief reibungslos, und die ersten Kilometer des Berlin Marathons fühlten sich großartig an. Bei Kilometer 2 hatte ich meinen Rhythmus gefunden, und auch an der ersten Verpflegungsstation lief alles nach Plan. Doch an der zweiten Verpflegungsstation bei Kilometer 9 änderte sich alles schlagartig.
Gerade hatte ich mir Wasser geschnappt und wollte die Station verlassen; ich hatte schon wieder meine Laufgeschwindigkeit erreicht. Doch plötzlich lief der Läufer hinter mir in meine Beine. Der Sturz kam so plötzlich, dass ich nicht mehr reagieren konnte. Ich fiel hart zu Boden und landete auf beiden Knien und dem linken Arm. Der Schmerz war sofort spürbar, und mir war klar: Mein Rennen hatte hier eine unerwartete Wendung genommen. Als ich dann benommen am Boden lag, bekam ich noch unabsichtlich einen Tritt an den Kopf und einen in den Nierenbereich von den nachfolgenden Läufern.
Obwohl Helfer schnell zur Stelle waren, blieb der Schock. Meine Knie und der Arm bluteten, mir war etwas schwindelig, und mein Brustkorb schmerzte. Meine Garmin-Uhr hatte ebenfalls bereits Alarm ausgelöst, der automatisiert hinterlegte Personen informiert, dass etwas nicht stimmt. Die vielen Monate der Vorbereitung schienen in diesem Moment sinnlos. Während die anderen Läufer weiterzogen, blieb ich zunächst verletzt zurück – Kilometer 9, der Punkt, an dem mein Marathon-Ziel SUB3 beendet war.
Ich setzte mich kurz hin, checkte meine Wunden und überlegte, ob ich aufgeben soll. Macht es noch Sinn, so weiterzulaufen? Ist es vernünftig, mit Schmerzen im Brustkorb weiterzulaufen? Waren die 12 Wochen Vorbereitung umsonst? Zwei nette Helfer der Verpflegungsstelle halfen mir auf. Ich nahm noch ein Wasser und spülte kurz die Knie ab. Der Läufer, der mich zu Fall brachte, fragte mich, ob ich okay bin und entschuldigte sich nochmal. Ich bestätigte ihm, dass alles okay ist und er weiterlaufen soll. Mein Entschluss stand fest: Ich versuchte es nochmal, weiterzulaufen. Es ist der 50. BMW Berlin Marathon, die Jubiläumsveranstaltung – die möchte ich finishen.
Ich setzte meinen Lauf fort. Der Schmerz in den Knien und am Arm war dank des Adrenalinschubs erträglich, die Atmung allerdings flacher wegen des Brustschmerzes. Definitiv hatte ich mir die Rippen links geprellt oder angebrochen. Die Blicke der Zuschauer waren leicht irritiert, da mein linker Arm und mein rechtes Knie stärker bluteten. Ich war wieder direkt in meiner Ziel-Pace von 4:15-4:30 min/km unterwegs, aber angenehm war das nun nicht mehr. Nach ca. 3 Kilometern fand ich endlich einen Rettungswagen, zu dem ich direkt hinging. Ich erklärte kurz, was passiert war, und da mir noch leicht schwindlig war, wurde ich komplett durchgecheckt. Die Wunden wurden desinfiziert, der Arm verbunden, das rechte Knie abgeklebt und der Brustkorb überprüft. Auch hier lautete die Diagnose: geprellt oder angebrochen. Mir wurde freigestellt, weiterzulaufen, mit dem Hinweis, bei Verschlechterung sofort den nächsten Versorgungspunkt anzusteuern und aus dem Rennen zu gehen. In Summe hat mich die Untersuchung und Versorgung 5–10 Minuten gekostet. Aber ich lief nach der Versorgung direkt wieder los. Immerhin 12 Kilometer waren ja nun bereits geschafft.
Vor mir sah ich plötzlich einen weiteren Läufer mit einem TSV Neuburg Triathlon Trikot – das musste Stephan Nojack sein, der hier auch startete. Ich beschleunigte etwas, um zu ihm aufzuschließen. Ein kurzer Small Talk, und unsere Wege trennten sich wieder, da ich etwas schneller unterwegs war. Er hatte sich zum Ziel gesetzt, 3:30 Stunden zu laufen. Das Laufen machte keinen wirklichen Spaß mehr, denn die Atmung fiel mir sehr schwer. Tiefes Einatmen war unmöglich, daher versuchte ich, flach und gleichmäßig zu atmen, und vor allem keinen Körperkontakt auf der linken Seite zuzulassen. Zum Glück ist Berlin voller Zuschauer, Musikbands und motivierender Menschen. Das gab den nötigen Schub, durchzuhalten. Ich lief nun jede Verpflegungsstation sehr vorsichtig an, schaute mich um und suchte große Lücken – keinen zweiten Sturz riskieren. Das Wetter war mittlerweile auch perfekt: 12–15°C und Sonne, eigentlich ideales Laufwetter.
Meine Laufgeschwindigkeit konnte ich noch auf einem guten Niveau halten. Den ersten Halbmarathon hatte ich bereits hinter mir, und es ging auf die 30 Kilometer zu. An den Verpflegungsstationen gab es nun zusätzlich warmen Tee, den ich sehr gerne annahm. Mein Verband am Arm löste sich kurzzeitig, das konnte ich aber selbst beheben. Das Pflaster am Knie war schon lange abgefallen. Mittlerweile spürte ich allerdings die Schmerzen in den Knien deutlicher, da das Adrenalin nachließ. Auch der Brustkorb tat nun etwas mehr weh. Auf dem folgenden Chart könnt ihr gut erkennen, wie die Laufgeschwindigkeit kontinuierlich abnahm.
Ich baute nun auch konditionell stark ab. Das kann daran liegen, dass ich zwischendurch vergessen hatte, die Gels zu nehmen, oder es lag einfach an der Gesamtsituation, dass es nicht mehr besser ging. Aber Aufgeben war keine Option mehr. Ich wollte diesen Zieleinlauf, ich wollte es schaffen. An jeder Verpflegungsstation machte ich nun kurz Rast und trank mein Wasser oder Tee aus. Neben mir war nun auch ein Pace-Läufer mit 3:30h. Das könnte ein realistisches Ziel sein.
Nur noch wenige Kilometer, die letzten 5 km bis zur Ziellinie. Ich behielt den 3:30h-Pace-Läufer im Auge und versuchte, dran zu bleiben. Aber die Beine schmerzten sehr, und es drohte auch, ein erster Krampf zu entstehen. Jetzt wird aber durchgebissen. Die letzten Meter Richtung Ziel sollen eine tolle Erfahrung mit vielen Zuschauern sein. Das lasse ich mir jetzt nicht mehr nehmen. Es wurde auch bereits merklich lauter, und bei vielen Läufern kam ein erstes Lächeln aufs Gesicht. Ein paar wenige blieben vor Erschöpfung stehen. Diese Läufer versuchte ich wiederum zu motivieren. Noch 2 Kilometer – das schaffen wir alle.
Die letzten Meter, die Zielgerade mit dem blauen Teppich. Die Anspannung fällt ab, auch ich kann nun ein wenig verkrampft lächeln. Die Kombination aus Schmerz und Freude bringt ein Wechselbad der Gefühle. Bin ich jetzt stolz oder enttäuscht? Das Ziel SUB3 wurde deutlich verfehlt, aber dafür gab es Gründe. Ankommen war das wichtigste Ziel – die Medaille umgehängt zu bekommen und den nächsten Marathon geschafft zu haben. Die Ziellinie kommt näher, nur noch wenige Meter. Geschafft. Meine offizielle Zeit: 3:35:41 h, der zweitbeste Marathon in meiner Laufbahn.
Damit wurde ich in meiner Altersklasse 1794. von 4946 Startern und insgesamt 15.080. von 35.475 Startern bei den Männern.